RWV Frankfurt besucht die Kostümabteilung von Schauspiel und Oper
Auf dem kleinen Empfangstisch in der Färberei der Städtischen Bühnen Frankfurt, den unsere große Besuchergruppe gleich zu Beginn passiert, ist eine Stoffbahn mit elegantem Blumendekor drapiert. Das Design entstammt den Kostümentwürfen von Christian Lacroix für Adriana Lecouvreur von 2012 – übrigens nicht auf textiles Material, sondern auf eine weiche Papiersorte gedruckt.

Kostümdirektor Markus Maas freut sich über ein „volles Haus“ auf der Probebühne – Foto: RWV Frankfurt
Die Stoffbahn ist eines von vielen liebevoll ausgesuchten Beispielen aus dem gewaltigen Fundus des Hauses, die Kostümdirektor Markus Maas und seine Mitarbeiterinnen zusammengetragen hatten, um den 40 Gästen des RWV Frankfurt die beeindruckende Vielfalt in der Welt der Theaterkostüme zu zeigen. Insgesamt 120 Menschen sind dort damit beschäftigt, die Ausstattung für jährlich rund 800 Vorstellungen von Schauspiel und Oper herzustellen und in Schuss zu halten. Es sind Damen- und Herrenschneider, Gewandmeister und Hutmacher, Schuhmacher und Kunstgewerbler und viele andere Gewerke mehr. Auch ein Rüstmeister mit Waffenkammer – die uns allerdings verschlossen blieb – gehört dazu. Für den Nachwuchs bieten die Bühnen eine eigene Lehrwerkstatt an; Kandidaten sind wie in allen Handwerksberufen nur schwer zu finden.
Kostüme machen etwas mit Menschen, erklärt Markus Maas in seinem Einführungsvortrag auf einer Probebühne. „Die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung anderer wird durch Kleidung mit bestimmt, sie beeinflusst unser eigenes Auftreten – sie triggert uns. Früher wurden zum Beispiel Uniformen mit hohem Kragen, schmalem Rücken und breiter Brust geschneidert; da blieb dem Träger gar nichts anderes übrig, als aufrecht und mit erhobenem Haupt sprichwörtlich Haltung zu bewahren.“ Auch einen kleinen Anthropologen-Gag hat Markus Maas parat: Nachdem der Homo sapiens vor 170.000 Jahren begann, zusätzlich zum eigenen Haarkleid Schutz durch Felle und Fasern zu suchen, entwickelte sich aus der Kopflaus die genetisch eigenständige Kleiderlaus.
Nach der Einführung geht es in vier kleinen Gruppen durch die verwinkelten Etagen der Kostümabteilung. „Das Gebäude ist ein Irrgarten; manchmal nehme ich einen Umweg, um mich nicht in unbekannten Gängen zu verlaufen“, erzählt eine der fachkundigen Gastgeberinnen, die schon lange zum Team gehört. Im Stofflager stapeln sich in nicht enden wollenden Regalen rund 9.500 Stoffe aller Qualitäten, die ausgerollt auf eine Länge von 70 km kämen. Alle sind nach Art und Menge digital erfasst, zudem gibt es umfangreiche Bestände an Knöpfen und Accessoires. In den Schneiderwerkstätten können besonders aufwändige Kostüme bewundert werden, auch einige „Fat Suits“, die aus ranken Darstellerinnen kugelförmige Gestalten machen.
Eine beeindruckende Sammlung von Schuhen, Stiefeln und Leisten lagert in riesigen Hochregalen. In der Schuhmacherei sind die weißen „Budapester“ ausgestellt, die die Kostümbildnerin unbedingt für den Fürsten Yamadori in Madame Butterfly haben wollte, aus Kostengründen hausgemacht, daneben ein frisch barockisierter Damenstöckel. An allen Aufführungstagen hat ein Schuhmacher Bereitschaft, falls ein Malheur zu beheben ist. Er nützt die Zeit, um neues Schuhwerk mit den vorgeschriebenen Gummisohlen zu versehen. An einem der Flure passieren wir den „Tresor“, einen brandgeschützten Raum, in dem die Kostüme der aktuellen Aufführungen lagern.
Wie entstehen Kostüme? Die Ideen des Kostümbildners und die letztentscheidenden (!) Vorstellungen des Regisseurs werden von den Gewandmeistern umgesetzt, mit der Auswahl der Stoffe und Accessoires – rund ein Jahr vor der Premiere – beginnt die handwerkliche Produktion. Kunstgewerbe und Hutmacher steuern ihre Teile bei, die Färberei sorgt für Spezialeffekte, die Spuren einer Schneenacht auf Mänteln, gewollte Verschmutzungen auf Hemden und Blusen oder verschiedene Stadien der Destruktion eines Kostüms. Manchmal passt auch eingekaufte Ware von der Stange zur Regieidee. In den Endproben, im gleißenden Licht der Bühnen-Scheinwerfer, wird dann sichtbar, ob das Gesamtbild stimmt oder ob noch optimiert werden muss. Alle Details einer Produktion werden in einer „Kostümfibel“ dokumentiert, für spätere Nachbesserungen und Ergänzungen.
Kostüme müssen auch für wechselnde Darsteller passen. In der Schneiderei ist neben dem Abendkleid für eine zarte Elfe die einfühlsam abgewandelte Version für eine üppige Figur ausgestellt. „Solche Variationen müssen trotzdem die jeweils zum Stück passende Aussage behalten“, erklärt dazu Markus Maas. Seit zwei Jahren in Frankfurt, kennt er sein Metier von der Pike auf: als Schneidermeister, Gewandmeister, Kostümbildner und Bühnenbildner an verschiedenen Theatern und zuletzt als Kostümdirektor am Staatstheater Saarbrücken.
Bei einem Glas Sekt und lebhaftem Gedankenaustausch über das Gesehene untereinander und mit den Gastgebern endet der Besuch nach zwei kurzweiligen und höchst informativen Stunden wieder in der Färberei. „Ich schaue jetzt ganz anders auf die Kostüme“: das drückt die Meinung vieler Teilnehmer aus. Markus Maas und seinen Mitarbeiterinnen gebührt ein dickes Dankeschön für diese gelungene Präsentation. Und wer weiß: vielleicht lässt sich irgendwann eine Fortsetzung finden – es gibt noch so viel zu entdecken.