Ein magisches Geschenk

Text: Dirk Jenders und Idil Kutay 

Idil Kutay im Stipendiatenkonzert des RWV Frankfurt am 30. Juni 2025 – Foto: Christoph Jenisch

Als neues Ensemblemitglied im Aalto-Musiktheater Essen war Idil Kutay ab Ende August in Coachings, den Probenbeginn für Turandot (Wiederaufnahme im Oktober) und das Eröffnungskonzert der Spielzeit am 14. September eingebunden. So tat es der jungen Sopranistin sehr leid, dass sie bei unserem Jour Fixe im September nicht persönlich dabei sein konnte, als die Bayreuth-Stipendiaten von ihrem Aufenthalt auf dem Grünen Hügel berichteten. Idil hat ihre Eindrücke mit uns jedoch in einer sehr persönlichen Bayreuth-Nachlese geteilt.    

Darin schildert sie, was sie dort fasziniert hat, ob ihre Erwartungen erfüllt wurden und wie die unterschiedlichen Regiekonzepte auf sie wirkten, welche Sängerin sie besonders überzeugte und wie sie die Gemeinschaft mit den anderen über 200 Stipendiaten aus aller Welt erlebte.

Was hat mich fasziniert, was überrascht?
Das Magischste und Unvergesslichste für mich war die unglaubliche Akustik des Festspielhauses. Die Gleichmäßigkeit und Balance des Klangs waren erstaunlich – jedes Detail, jede fein abgestimmte Dynamik und Farbe war zu hören, und das mit einer so natürlichen Klarheit. Es war ein wahrhaft fesselndes Erlebnis.

Unter allen Aufführungen hat mich Parsifal am meisten berührt. In der neuen Parsifal-Produktion an der Oper Frankfurt war ich als Erster Knappe und Blumenmädchen beteiligt und habe dadurch einen großen Teil des Abends auf der Bühne verbracht (in unserer Inszenierung blieb der Knappe während des gesamten ersten Akts und erneut im letzten Teil des dritten Akts auf der Bühne). So konnte ich das Werk sehr intensiv kennenlernen. Umso bewegender war es für mich, Parsifal in Bayreuth zu erleben – ich wusste, worauf ich achten wollte, und hatte dennoch das Gefühl einer ganz neuen Entdeckung. Die Aufführung hatte eine wahrhaft meditative Qualität, in der die Zeit stillzustehen schien. Keine Sekunde bin ich abgedriftet – ich war vollkommen gefesselt. Wagners Klangwelt eröffnete eine spirituelle Dimension, wie ich sie im Opernkontext noch nie erlebt habe. Ich bin sehr dankbar für dieses Erlebnis – und für die wunderbaren Künstlerinnen und Künstler, das Orchester, den Chor sowie das gesamte Team und die Technik, die mit so viel Hingabe dieses monumentale Werk zum Leben erweckten.

Wurden Erwartungen erfüllt, übererfüllt oder vielleicht enttäuscht?
Mit sehr hohen Erwartungen bin ich nach Bayreuth gefahren – und sie wurden tatsächlich übertroffen. Ich habe etwas Großes und Einzigartiges erwartet, aber nicht geahnt, wie transformierend es sich anfühlen würde, als Künstlerin im Festspielhaus zu sitzen und Wagners Werke in dem Raum zu erleben, für den sie geschrieben wurden. Wer weiß, ob ich jemals die Chance haben werde, dort selbst zu singen – aber schon allein im Festspielhaus sitzen zu dürfen, war ein Geschenk. Und ich bin einfach dankbar, dass ich in der kommenden Spielzeit bereits meine zweite Parsifal-Produktion singen darf – diesmal in Essen (Wiederaufnahme: 26. April 2026).

Bei Siegfried habe ich auch gespürt, wie kraftvoll und erfrischend es ist, wenn eine Frauenstimme auf der Bühne erklingt – was für eine Freude, den Waldvogel, Erda und Brünnhilde zu hören. Ohne den wunderbaren männlichen Sängern – die großartig waren – zu nahe treten zu wollen: Gerade dieser Kontrast ließ die Rückkehr der Frauenstimme wie einen frischen Atemzug wirken. In diesem Fall hat die Abwesenheit das Herz tatsächlich noch sehnsüchtiger gemacht.

Wie kamen die unterschiedlichen Regiekonzepte an?
Es war faszinierend, die Bandbreite der Regiekonzepte zu sehen. Manche waren herausfordernd und regten zum Nachdenken an, andere eher traditionell – doch jede eröffnete mir eine neue Perspektive auf Wagners Welt. Selbst wenn ich nicht mit jeder Entscheidung einverstanden war, brachte sie mich dazu, über das Werk tiefer nachzudenken – und das ist für mich ein Teil des Reichtums der Oper.

Welche Sänger*innen und Dirigent*innen konnten besonders überzeugen?
Viele Sängerinnen und Sänger haben mich inspiriert – nicht nur durch ihre stimmliche Brillanz, sondern auch durch die Ausdauer, Präsenz und emotionale Tiefe, die sie in diese unglaublich anspruchsvollen Rollen einbrachten.

Unvergesslich war Ekaterina Gubanova als Kundry: Ihr Gesang war zugleich sinnlich, kraftvoll und zutiefst expressiv und brachte die ganze Komplexität dieser Rolle zum Ausdruck. Auch die Dirigenten haben mich tief beeindruckt, wie sie die Klangwelt mit solcher Autorität und Sensibilität gestalteten. Ihnen zuzuhören, war wie ein Meisterkurs darin, wie Wagners Musik atmet und lebt.

Wie war das Zusammensein mit den anderen Stipendiat*innen?
Die Begegnungen mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten waren ein Geschenk. Erfahrungen zu teilen, Perspektiven auszutauschen und Freundschaften mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt zu knüpfen, war zutiefst inspirierend. Es hat mich daran erinnert, dass wir Teil einer weltweiten künstlerischen Gemeinschaft sind, die durch diese Musik miteinander verbunden ist.

Hat das Rahmenprogramm gefallen?
Das Rahmenprogramm war bereichernd, und ich bin dankbar für die Führungen und alle Möglichkeiten, die es bot. Außerdem habe ich die Stadt Bayreuth sehr ins Herz geschlossen – sie hat dem gesamten Erlebnis eine zusätzliche besondere Note verliehen.

Ich bin dem Richard-Wagner-Verband Frankfurt sehr dankbar für diese unvergessliche Erfahrung. Sie wird ein wichtiger Meilenstein in meinem künstlerischen Werdegang bleiben, und ich werde mit Stolz in meiner Biografie erwähnen, dass ich Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes Frankfurt war.

Eure Idil Kutay