Text: Hannelore Schmid und Dirk Jenders
Bayreuth? Salzburg? Glyndebourne? Alles fabelhafte Sommer-Destinationen für Opernfreunde. Für dieses Jahr hatte der Richard-Wagner-Verband Frankfurt ein anderes Ziel vorgeschlagen: die Tiroler Festspiele in Erl. Im sechsten und leider letzten Jahr wird das Festival vom Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe geleitet, Brigitte Fassbaender hat in dieser Zeit Wagners Ring des Nibelungen auf die Bühne gebracht: Grund genug für eine neuntägige Reise ins Kaisergebirge. 23 Mitglieder besuchten Anfang Juli den ersten Ring-Zyklus und sind begeistert zurückgekommen. Schon heute freuen sie sich auf Fassbaenders Parsifal-Deutung, die im Mai 2025 an der Oper Frankfurt Premiere haben wird.
Das Passionsspielhaus in Erl wurde nicht für Opernaufführungen gebaut. Es gibt keinen Orchestergraben, keinen Vorhang, keinen Schnürboden und erst recht keine Drehbühne. Was soll’s! Das sind keine Hindernisse für Brigitte Fassbaender, die am Tag vor der Erler Festspieleröffnung ihren 85. Geburtstag feierte. Die 400 Quadratmeter große Bühne, auf der über 600 Mitwirkende alle sechs Jahre das Spiel des Leidens und Sterbens von Jesus Christus aufführen, nimmt jetzt das großbesetzte Wagner-Orchester in einer treppenartigen Anordnung im Halbdunkel auf. Ein Gazevorhang trennt die Musiker hinten von den Sängern vorne. Die Lämpchen der Notenpulte und einzelne Instrumente blitzen immer wieder wie kleine Sterne auf und schaffen eine verwunschene Atmosphäre. Im vollständig mit Holz verkleideten Saal entsteht ein atemberaubender Raumklang, der den Besucher vom ersten Es-Dur des Rheingolds an gefangen nimmt. Die Sänger können dem Dirigenten Erik Nielsen nur über Monitore in der ersten Zuschauerreihe folgen, sie müssen aber stimmlich auch keinen „Graben“ überbrücken.
Die Ring-Besetzung ist durchwegs herausragend. Viele der Stimmen sind den Besuchern aus Frankfurt bestens bekannt: Simon Bailey (Wotan), Bianca Andrew (Fricka), Elizabeth Reiter (Freia), Zanda Švēde (Erda), Peter Marsh (Mime) oder Vincent Wolfsteiner (Siegfried). Auch von den Charakteren her wurden die meisten Rollen optimal besetzt, so Ian Koziara als Loge, Marco Jentzsch als Siegmund, Irina Simmes als Sieglinde und Christiane Libor, deren Brünnhilde in der Walküre und im Schlussgesang der Götterdämmerung ihre stärksten Momente hatte.
Das Bühnenbild wird von eindrucksvollen Video-Projektionen geprägt. Auf den gewölbten Seitenwänden der Bühne und auf dem Gazevorhang vor dem Orchester sprudelt Wasser, wenn die Rheintöchter auftauchen, Gebirge türmen sich auf, wenn die Riesen ihren Lohn für Walhall einfordern, eine großbürgerliche Tapete symbolisiert das Innere von Walhall, Knospen symbolisieren den für Siegmund und Sieglinde erblühenden Lenz, ein heftiges Gewitter kündigt den wütend heranstürmenden Wotan an und eine Feuerwand umgibt den Brünnhilden-Felsen.