Le vin herbé an der Oper Frankfurt: exklusive Einführung für den RWV Frankfurt

Gastgeber des Abends und Dramaturg der Produktion: Zsolt Horpácsy (links) informiert über Werk und Inszenierung – Foto: Dirk Jenders
„Diese Oper ist kein Gegenprogramm zu Wagners Tristan und Isolde, sondern eine Alternative dazu; eine schlichte Erzählung über die Unbeständigkeit des Lebens.“ So charakterisiert Dramaturg Zsolt Horpácsy Le vin herbé von Frank Martin (1890 – 1974); ein Werk, das dieser vor über 80 Jahren für den Züricher Madrigalchor geschrieben hat. Der „phantastische Außenseiterkomponist“ (Horpácsy), der Richard Wagner bewunderte, hat damit eine hörens- und sehenswerte zweite Sicht auf den Stoff auch für Wagner-erfahrene Operngänger geschaffen. Dass seine Zeitgenossen ihn als konservativ bis reaktionär einstuften, interessierte Frank Martin nicht; er sah sich selbst zwischen Avantgarde und moderner Klassik.
Dem Chor kommt in diesem Weltlichen Oratorium die Rolle des Evangelisten zu. „Der Madrigalchor damals muss toll gewesen sein“, begeistert sich Tilman Michael, Chorleiter der Oper Frankfurt. Jedes der zwölf Mitglieder bekam seine eigene Stimme. „Es ist eine wunderbar zarte, zerbrechliche und intensive Musik, auskomponiert mit spürbarer Freude an der französischen Sprache.“

Chorleiter Tilmann Michael (rechts) berichtet u.a. über die logistischen Herausforderungen dieser Produktion an den Chor – Foto: RWV Frankfurt
In Frankfurt wurde das Chorensemble auf 24 Mitglieder verdoppelt, ergänzt durch acht Gesangssolisten. Begleitet wird es in Martins Originalorchestrierung von sieben Streichern und Klavier. Die Musik ist komplett anders als die Wagners. Das in 18 Bilder unterteilte Stück unterscheidet sich auch inhaltlich vom Werk des Bayreuther Meisters. Im zugrunde liegenden Roman von Joseph Bédier soll eine zweite Isolde – Iseut, die Weißhändige – Tristan nach der Trennung von seiner geliebten blonden Iseut zur Seite stehen; letztlich zerstört die Weißhändige ihn (und die andere) durch hasserfüllte Eifersucht.
Die Bühne erinnert in der Frankfurter Inszenierung, passend zum Charakter des Oratoriums, an ein überdimensioniertes Altarbild: 32 Boxen sind in Viererreihen übereinander gestapelt, die oberen Ebenen für Sänger mit Höhenangst durchaus eine Herausforderung, wie Tilmann Michael berichtet. Jede Figur hat ein eigenes Leben in ihrer Box, aus der sie hervortritt und ihre Geschichte erzählt, es gibt keine Berührungen und nahezu keine Interaktionen zwischen den Protagonisten. Das verstärkt die Anmutung von Einsamkeit, die den handelnden Personen, anhaftet.
Die strikte Trennung der Akteure hat auch mit dem Termin der ursprünglich angesetzten Frankfurter Premiere zu tun. Sie musste nicht nur dem Komponisten und dem Werk gerecht werden, sondern auch den damals geltenden Corona-Vorschriften. Geholfen hat das nicht, wie wir wissen. Die Produktion musste nach der Generalprobe vom Spielplan genommen werden. Mit der Bezeichnung Frankfurter szenische Erstaufführung hat man nun den formal passenden Titel gefunden – nicht Premiere, nicht Wiederaufnahme. So setzt Le vin herbé einen letzten Höhepunkt in dieser Frankfurter Spielzeit. Der Einführungsabend mit Zsolt Horpácsy und Tilman Michael auf der Probebühne 2 war für unsere Mitglieder der exklusive Vorspann zu den fünf, mit Spannung erwarteten Vorstellungen am 7./10./14. und 16. (15:30 und 19:30 Uhr) Juli.

Intime Workshop-Atmosphäre auf der Probebühne 2 der Oper Frankfurt – Foto: Dirk Jenders