3. Frankfurter Wagner-Salon

mit Bariton Michael Volle: Der Sachs ist der Hammer

Eigentlich sollte Michael Volle, 1991 von der legendären Ilse Hannibal im RWV Mannheim als Bayreuth-Stipendiat entdeckt, dieser Tage den Barak an der New Yorker Met geben. Und eigentlich waren in den letzten zwölf Monaten weltweite Auftritte in seinen Paraderollen geplant. Doch kaum etwas davon ließ sich realisieren. Corona bedeutete für Volle einen jähen Bruch. Seine Bühne ist seither das Zuhause in Kleinmachnow im Süden von Berlin.

„Der Anfang war furchtbar“, erinnert er sich im Gespräch mit Dirk Jenders. „Ich wurde herausgerissen aus dem Lebensrhythmus der letzten 30 Jahre, es ging von Hundert auf Null, das brachte riesige Probleme bis hin zu körperlichen Reaktionen.“ Was ihm und seiner gleichermaßen betroffenen Frau, der Sopranistin Gabriela Scherer, hilft, ist ihr positives Umfeld in Brandenburg und die Fürsorge für die beiden Kinder.
Gelegentliche Auftritte sorgen dafür, dass sie über die Runden kommen. „Was fehlt, ist die Erfüllung dieses Urbedürfnisses, Oper live zu erleben – das tut wahnsinnig weh.“ Er weiß von Sängern, die seit einem Jahr keinen Ton mehr gesungen haben. „Das ist heftig – Singen ist für sie kein Hobby.“

Bedrückend empfand er den Umgang vieler Opernhäuser mit Absagen. Manche zeigten viel goodwill, anderen war die Situation der Sänger gleichgültig. Einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben die Sänger nicht, von einer gewerkschaftlichen Organisation ganz zu schweigen. „Die wichtigste Lehre war, dass wir Sänger keine Lobby haben.“ Am Anfang habe eine große Euphorie bestanden, sich besser zu organisieren. Aber dann war jeder so mit der Bewältigung seines Alltags beschäftigt, dass die Kraft dafür fehlte. Ob die jüngst von Anne-Sophie Mutter und Christian Gerhaher im Namen der Initiative „Aufstehen für die Kunst“ beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereichte Popularklage Erfolg habe? „Das mit der Hoffnung ist nicht immer so leicht – nicht immer“, so Michael Volle. Für die Salon-Gäste war es eine sehr wichtige Erkenntnis, auf welch dünnem Eis sozialer Absicherung sich Solo-Selbständige im Opernbetrieb bewegen müssen. „Die Pandemie zeigt uns, dem Publikum, auf brutale Weise die menschliche Dimension des Berufsstandes mit allen Sorgen, ja Existenzängsten. Das ist tatsächlich eine Entzauberung unserer schönen, heilen Opernwelt“, wie Dirk Jenders nüchtern feststellte.

Eine der wenigen Auftritte nach Beginn der Pandemie hatte er mit seiner Frau Gabriela in Wiesbaden bei den stark reduzierten Maifestspielen 2020. Ausschnitte aus „Arabella“ und „Holländer“ standen auf dem Programm. „Es war ein sehr berührender Moment, wieder auf Menschen zu treffen, obwohl nur 126 Zuschauer im Saal sein durften.“ Die klatschten dafür „was das Zeug hielt“, wie ein damals anwesender Teilnehmer im Chat berichtete. Überhaupt wurde der Chat während des Gesprächs rege genutzt, auch von unserem prominenten Gast, der spontan auf Fragen und Komplimente einging – so geht interaktiv.

Sein nächster öffentlicher Auftritt ist für den Mai im Staatstheater Wiesbaden geplant, dann mit prominenter Besetzung im Rahmen der beliebten Streaming-Reihe der New Yorker Met. „Bis dahin muss ich schauen, dass meine Stimme wieder trainiert ist, dass die Muskeln gut durchblutet sind.“ Das Pausenjahr hinterlässt Spuren. Von der Einteilung der Stimmen in Charaktere hält Volle übrigens nichts. „Ob Bassbariton, lyrischer- oder Heldenbariton – es ist mir wurscht, was die Leute hinschreiben.“ Im Barock habe es überhaupt keinen Bariton gegeben. Ohnehin entwickele sich die Stimme; er könne mittlerweile Sarastro oder Gurnemanz singen – aber das überlasse er lieber den Bässen. Er werde übrigens – „auch auf die Gefahr, dass jetzt Gäste kopfschüttelnd aus dem Salon flüchten“ – nie den Telramund singen: „Die Rolle ist für mich nicht interessant genug.“

Als großes Glück in seiner Karriere empfindet er, dass er nie „über Fach“, also zu schwere Rollen, singen musste. Schmerzen würde ihn, wenn er in diesem Bayreuther Sommer nicht noch einmal „seinen Sachs“ in den wunderbaren „Meistersingern“ von Barrie Kosky machen könnte. Diese Rolle sei ein Teil seiner selbst. „Der 1. Akt ist so ein langsamer, der 2. kocht schon viel höher und der 3. ist der Hammer. Ich bin nach jeder Vorstellung vollkommen fertig, aber unbeschreiblich glücklich.“

Überhaupt sei es das Größte, auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses zu stehen. Dass er 2007 sein Hügel-Debut mit dem Beckmesser in Katharina Wagners „Meistersinger“ und mit unserem Frankfurter Ehrenmitglied Sebastian Weigle am Pult geben würde, lag für den Stipendiat 1991 noch Lichtjahre außerhalb jeder Vorstellungskraft. Damals durfte er den Kupfer-„Ring“ mit Daniel Barenboim und Sängern wie Graham Clark, Poul Elming, Anne Evans, Siegfried Jerusalem, Waltraud Meier, Deborah Polaski sowie John Tomlinson (!) erleben. Letzterer beeindruckte ihn nachhaltig. „Im „Siegfried“ saß ich sogar in Reihe 1 – es war der Wahnsinn.“

Wie bei der Premiere im Januar belebten auch bei diesem Wagner-Salon Fotos und Videos aus dem reichen Sängerleben Michael Volles. Etwas Besonderes waren Aufnahmen aus dem MRT der Uniklinik Freiburg, die eine Langfriststudie zu Singen und Tonerzeugung durchführte. Auf dem Rücken in der Röhre liegend schmetterte Volle Wolframs Lied „An den Abendstern“. Das Youtube-Video, an dem selbst ihn die enorme Größe der menschlichen Zunge beeindruckte, wurde weltweit 400.000 Mal angeklickt. Ein Amerikaner fand es daraufhin sehr bedauernswert, „dass eine Karriere wie die von Michael Volle so kläglich endet“ – großes Gelächter in der virtuellen Runde.

Natürlich ersehne er sich, wie alle seine Sängerkollegen, eine baldige Rückkehr von Künstlern und Publikum in die Opernhäuser. Er brenne für seine Rollen, zu denen unverändert auch Mozarts Figaro und Don Giovanni gehören („Mozart ist reine Stimmenpflege“), aber auch Boris und Wozzeck. „Sachs, Wotan und Wolfram will ich so lange es geht singen … Es gibt noch vieles zu entdecken, aber ich habe ja auch ein Leben abseits der Bühne.“ Er sei ja schließlich schon 61 und wolle nicht, dass die Leute irgendwann sagen, es sei Zeit fürs Aufhören.

Nach gut zwei Stunden endete der offizielle Teil des Wagner-Salons mit dem „Wahn-Monolog“ des Sachs aus den aktuellen Bayreuther „Meistersingern“. Am Bildschirm war es spannend zu sehen, wie sich Michael Volle beim eigenen Vortrag beobachtete und mitging. Er ist eben ein Vollblut-Sänger-Darsteller.

Online-Events werden auch künftig eine angenehme Ergänzung im Programm des RWV Frankfurt sein, bekräftigte Dirk Jenders im sich anschließenden gemütlichen Teil, der sich bis in die späten Abendstunden erstreckte. „Man lernt sich über die lokalen Verbandsgrenzen besser kennen und sieht, dass die Wagner-Gemeinde lebt.“ So könne ein lebhafter Gedanken- und kreativer Ideenaustausch entstehen. Erfreulich ist das Interesse der 12 teilnehmenden Wagner-Verbände am Frankfurter Online-Format. Man darf gespannt sein, was in der Wagner-Welt in den nächsten Monaten an zusätzlichen Angeboten entwickelt wird.