Richard Wagner und „das Weibliche“

Band 4 der Frankfurter Wagner-Kontexte

Text: Dirk Jenders

Am 29. November 2021 erschien im Tectum Verlag der inzwischen vierte Band der musikwissenschaftlichen Reihe Frankfurter Wagner-Kontexte, herausgegeben vom Richard-Wagner-Verband Frankfurt.

Als Kind des 19. Jahrhunderts lebte auch Richard Wagner prinzipiell in der traditionellen Vorstellung eines Antagonismus von Weiblichkeit und Männlichkeit. Seine Ausführungen zur angeblichen Charakteristik „des Weibes“ liest man heute je nach Standpunkt und Befindlichkeit leicht amüsiert oder mit Befremden. Andererseits hat es Wagner verstanden, die gesellschaftlichen Auffassungen seiner Zeit radikal zu überwinden. In seinen Werken stellte er starken Frauen nicht selten schwache Männer gegenüber. Jedenfalls hat Wagner „das Weibliche“ als Topos permanent sowohl in seinen Opern, als auch in seinen theoretischen Schriften beschäftigt. Ausgehend von der Betrachtung philosophischer und ideologischer Vorbilder sowie dem zielgerichteten Überblick über Wagners eigene Aussagen und Biografie analysiert und diskutiert der Autor Paul Simon Kranz die frühen Opern von der fragmentarischen Die Hochzeit (1832) bis zum Lohengrin (1850).

Paul Simon Kranz – Publikationsstipendiat 2021 im RWV Frankfurt (Foto: privat)

Paul Simon Kranz wurde 1995 in Gießen geboren. Er studierte u.a. „Schulmusik für das Lehramt an Gymnasien“ an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main. Derzeit strebt er den „Bachelor of Music“ im Hauptfach Gesang am Dr. Hoch’s Konservatorium Frankfurt am Main an. Das Buch beruht auf der Abschlussarbeit des Autors für das Erste Staatsexamen. Zum Thema inspiriert wurde Paul Simon Kranz durch Karikaturen und Anekdoten über Richard Wagner sowie durch die aktuelle Geschlechterdebatte. Für die Veröffentlichung in der Reihe Frankfurter Wagner-Kontexte hat er seine Abschlussarbeit nochmals überarbeitet und ergänzt.

Band 4 (198 Seiten / 17 x 24 cm / Hardcover) ist für 44 € im Buch- und Online-Handel bzw. direkt beim > Tectum Verlag bestellbar.

ISBN Print 978-3-8288-4725-5
Auch als E-Book erhältlich:
ISBN E-PDF 978-3-8288-7822-8
ISBN E-Pub 978-3-8288-7823-5

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Nachstehend die Langversion zum obigen Beitrag vom 1. Dezember 2021:

Richard Wagners Opern sind geprägt von herausragenden Frauenfiguren: Isabella, Irene, Senta, Elisabeth und Venus, Elsa und Ortrud, Isolde, Fricka, Brünnhilde, Kundry. Sie sind zwar gegenüber den männlichen Akteuren in der Minderzahl, gleichzeitig aber für den Gang der Handlung unverzichtbar, insbesondere als Ziel des heldischen Sehnens, als Partnerin, selten auch als Widerpart, bis hin zu Falschheit und Intrigen.

Als Kind des 19. Jahrhunderts lebte auch Wagner prinzipiell in der traditionellen Vorstellung eines Antagonismus von Weiblichkeit und Männlichkeit. Seine Ausführungen zur angeblichen Charakteristik „des Weibes“ liest man heute je nach Standpunkt und Befindlichkeit leicht amüsiert oder mit Befremden. Nichts anderes gilt für die These, „gute“ Frauen seien zur Liebe (und nichts anderem) geboren, oder für die Verbindung der Ausdrucksformen Musik bzw. Harmonie mit Weiblichkeit (das „gebärende Element“) und Drama bzw. Dichtkunst mit Männlichkeit (so in der Schrift „Oper und Drama“). Auch das Streben der männlichen Hauptpersonen nach Erlösung durch Liebe, ein Kontinuum seiner Werke, mag auf uns antiquiert, bestenfalls rührend wirken.

Andererseits hat Wagner die Auffassungen seiner Zeit auch radikal überwunden, indem er durchaus starke Frauenrollen schuf und ihnen nicht selten schwache Männer gegenüberstellte – man denke etwa an Erik, Telramund und Gunther, mit Einschränkung Tristan, letztlich auch Wotan. Auch die vollzogene Geschwisterliebe zwischen Sieglinde und Siegmund stellte einen sehr mutigen Tabubruch dar.

Jedenfalls ist zu konstatieren, dass Wagner „das Weibliche“ als Topos permanent sowohl in seinen Opern, als auch in seinen theoretischen Schriften beschäftigt hat. Noch die letzte Schrift, über deren Anfertigung Wagner 1883 in Venedig verstarb, trug den Titel „Über das Weibliche im Menschlichen“. Dass Frauen, vor allem seine erste Ehefrau Minna, sodann die große unerfüllte Liebe Mathilde Wesendonck und schließlich Cosima, auch für Wagners künstlerisches Schaffen enorme Bedeutung hatten, ist anerkannt.

Der vorliegende > Band 4 der Frankfurter Wagner-Kontexte behandelt unter dem Titel Richard Wagner und „das Weibliche“ vor allem die Anfänge und Ursprünge der Entwicklung Wagners bis etwa 1850.