Text: André Weißbach
Manchmal sind technische Pannen bei Veranstaltungen echte Showstopper. Nicht so beim diesjährigen Event im Advent des RWV Frankfurt. Der aus Bayreuth angereiste Gastreferent Dr. Frank Piontek kennt Vita, Werk und Umfeld Richard Wagners aus dem Effeff und ließ sich von technischen Unzulänglichkeiten nicht beeindrucken. Statt seines geplanten und umfangreich bebilderten Vortrages über Bayreuther Wagner-Dokumente der Jahre 1872 bis 1882, schwenkte er spontan und überaus passend auf ein weihnachtliches Thema um. So kamen die Besucher im adventlich geschmückten Saal des Dr. Hoch’s Konservatoriums in den Genuss einer so wohl einmaligen, improvisierten und sehr vergnüglichen Lesung ausgewählter Briefe, die Wagner von 1834 bis 1882 an Weihnachten verfasste.
Der Einstieg mit dem an Heiligabend 1877 aufgeführten Liedes > Willkommen in Wahnfried (im Youtube-Video auf die Wagner-Stätte Graupa umgedichtet) machte zwei Dinge deutlich: dass das Weihnachtsfest auch in der Familie Wagner zelebriert wurde, sobald Kinder da waren und größer wurden. Und dass es neben den gewaltigen Standardwerken noch vieles zu entdecken und es noch lange keine abschließende Gesamtausgabe wirklich sämtlicher Wagner-Werke gibt, wie Frank Piontek flehend bemerkte („Sie müssen sich für eine Gesamtausgabe engagieren!“).
Wagners Weihnachtsbriefe sind ein spannender Streifzug durch die Zeit des 19. Jahrhunderts und durch sein Leben. Interessanterweise spielen darin – völlig konträr zu heutigen Gepflogenheiten – das Weihnachtsfest oder der jeweils bevorstehende Jahreswechsel kaum eine Rolle. Es gibt da „keine Sentimentalitäten, kein Weihnachtsgebimsel und -Gebamsel“, so Frank Piontek. Er führt das auch darauf zurück, dass es lange keine Kinder in den Wagner-Haushalten gab. Vielmehr zeigt ihn seine oftmals überlange Festtagskorrespondenz als viel beschäftigten Komponisten und Unternehmer, der um die Aufführung seiner Werke schwer zu kämpfen hat, etwa zum Liebesverbot (1835) oder Rienzi (1843). Bis Cosima in sein Leben tritt und ihm Kinder schenkt, schreibt er zum Fest also reine Arbeitsbriefe an Verleger, Intendanten, Künstler. Nur gelegentlich kann man darin den fürsorglichen Familienmenschen erkennen, wie in den Briefen an seine ehemalige Haushälterin „Vreneli“ Stocker oder an ihren Sohn Wilhelm Richard Stocker. Erst in einem Brief an Ludwig II. von 1864 wird „Weinachten“ zum allerersten Mal überhaupt erwähnt.
Man lernt viel über Wagners Charakter kennen, etwa im editierten Briefwechsel mit Franz Liszt, der zu 90% aus seitenlangen Texten Wagners und nur zu 10% aus knappen, kurz angebundenen Antworten seines (späteren) Schwiegervaters besteht. Einer dieser „seitenlangen Traktate“ entstand an Heiligabend 1850 in Zürich.
Indem Frank Piontek anschaulich herausstellte, wie sehr sich Richard Wagner natürlich auch um Mäzene kümmern musste (etwas 1856 an Julie Ritter), gelang ihm ein Link in unsere heutige Zeit und auch zu den weltweiten Richard-Wagner-Verbänden: „Kunst ohne Förderung ist nur bedingt möglich“.
Die 80-minütige Zeitreise durch Wagners Weihnachten verging dank der Eloquenz des referierenden Gastes wie im Fluge. Bei Dresdner Stollen und Rheingold-Sekt ließen die 64 anwesenden Mitglieder des RWV Frankfurt nicht nur den unterhaltsamen Nachmittag, sondern auch ein überaus vielseitiges Vereinsjahr 2024 ausklingen.