Richard Wagner und der Krieg der Sterne

Text: Hannelore Schmid

Jahresmitgliederversammlungen sind eher sachlich-nüchterne Veranstaltungen. Angesichts des miserablen Wetters am 6. Mai freute sich Vorsitzender Dirk Jenders umso mehr, dass er zu diesem Anlass vier Dutzend Mitglieder des RWV Frankfurt im Dr. Hoch’s Konservatorium begrüßen konnte. Sein Jahresbericht 2023 bot positive Informationen: ein attraktives Veranstaltungs- und Reiseprogramm, stetig steigende Mitgliederzahlen und – dank deren Spendenbereitschaft – großartige Möglichkeiten, junge Talente aus der Region mit Stipendien zu fördern; elf Bayreuth-Stipendien sind es derzeit, hinzu kommt ein Deutschlandstipendium. 

Die gesunde Finanzsituation erlaubt es zudem, dass der RWV Frankfurt im Januar 2024 eine Firmenpatron-Mitgliedschaft im Patronatsverein der Städtischen Bühnen eingegangen ist. Auf diese Weise soll die langjährige und sehr gute Kooperation mit der Oper Frankfurt hinsichtlich Nachwuchsförderung vertieft und Veranstaltungsformate mit thematischem Bezug zu Richard Wagner unterstützt werden. Dafür werden in 2024 und 2025 jeweils 5.000 Euro zur Verfügung gestellt.

Nach einer Pause mit Brezeln und Wein gehörte die Bühne Andreas Schüller, seit 2022 Generalmusikdirektor am Stadttheater Gießen. Er ist ebenso begeisterungsfähig für „Ausgrabungen“ wie der Frankfurter Opernintendant Bernd Loebe; ganz besonders interessiert ihn dabei der Einfluss Richard Wagners auf die Moderne. „Es fasziniert mich, wie Wagners Kompositionstechnik in der Musik des 20. Jahrhunderts immer wieder auftaucht.“ Eine von Schüllers „Ausgrabungen“ war die 3. Sinfonie von Florence Price (1887 – 1953) aus dem Jahr 1940. Der ersten afroamerikanischen Komponistin war der ganz große Erfolg verwehrt; 300 Kompositionen blieben unveröffentlicht und erst seit 2018 setzt bei US-Orchestern ein Revival ihrer sinfonischen Werke ein – und nun auch in Gießen. In ihrer 3. Sinfonie, die zu Beginn der aktuellen Konzertsaison erklang, sieht Schüller Anklänge an das Zwischenspiel im 1. Akt der Götterdämmerung: von Blechbläsern getragene langsame, leise Choralstimmen. Auch Brünnhildes Todverkündung findet er darin zitiert.

Andreas Schüller in Aktion – Foto: Dirk Jenders

Großen Einfluss auf Florence Price hatte zudem Antonín Dvořák. „Und Dvořák war in den letzten zehn Jahren seines Lebens totaler Wagnerianer – trotz seiner parallelen Freundschaft zu Johannes Brahms“, so Schüller. „Man denke nur an die Verklebung der Leitmotive in den letzten drei Minuten seiner Oper Rusalka.“

Ein GMD, der begeistert: Andreas Schüller aus Gießen – Foto: Dirk Jenders

Schüller untermalt seine Beispiele mit der Einspielung von Tonträgern oder direkt am Flügel. Das praktiziert er auch bei den von ihm entwickelten „Preview-Konzerten“ in Gießen, in denen er die Besucher mit den Feinheiten des Konzertprogramms vertraut macht. Seine Erfahrungen aus der Probenarbeit gerade mit Landesjugendorchestern kommen ihm dabei zugute. „Die Proben dauern hier länger, man entdeckt dann Dinge, die man sonst übersehen würde.“ Wagners bahnbrechenden Kompositionsstil hat er auch in Daphnis et Chloé von Ravel, in Atmosphères von Ligeti, in Bruckners 4. Sinfonie und bei Julius Bittner, einem österreichischen Zeitgenossen von Richard Strauss, gefunden. Bittner, der „alpenländische Wagner“, der (wie sein Vorbild) zahlreiche Opern samt zugehöriger Libretti schrieb, hat mit der pathetischen Zuspitzung auf Höhepunkte Referenzen für die Filmmusik in Hollywood geliefert. Erheblichen Einfluss übte er dabei auf Erich Wolfgang Korngold aus. „Nicht schlecht für einen Berufsrichter und Beamten im Wiener Justizministerium“, wie Schüller findet. Dass Wagner als „Vater der Filmmusik“ gelten kann, dafür liefert John Williams mit seinem Star Wars-Soundtrack das überzeugendste Beispiel. „Das sind sieben Stunden große Orchestermusik, durchsetzt von Leitmotiven, wie wir sie aus den Opern Wagners kennen“.

Der Gießener GMD hat neben Dirigieren auch Klavier und Horn studiert, letzteres bei Sebastian Weigle. Dem späteren Frankfurter GMD und Ehrenmitglied im RWV Frankfurt verdankt er eine entscheidende Wende in seinem Leben. Weigle empfahl ihm nämlich, die Dirigentenlaufbahn einzuschlagen – eine kluge und richtige Empfehlung, wie beide jetzt wissen. Das Publikum zollte am Ende eines lebendigen Vortrags begeisterten Beifall. Man darf sicher sein, dass die > Konzerte des Philharmonischen Orchesters Gießen künftig auch von manchem entdeckungsfreudigen Mitglied des RWV Frankfurt besucht werden.